Sekt brut

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Im Gegenteil zur Qualitätshierarchie im Deutschen Weinrecht, stellt das Adjektiv „brut“ (aus dem französischen „roh“) kein Qualitätsmerkmal per se dar. Es handelt sich bei der Deklaration „brut“ vielmehr um ein Geschmackskriterium, und – eigentlich in erster Linie – einen Hinweis auf eine bestimmte Nuance in der Produktionsmethode bei Sekt oder Champagner. Um gleich zur Sache zu kommen: ein „brut“ soll nach der „reinen Lehre“ keinerlei Zuckerzusatz bzw. Dosage enthalten und damit weniger süß im Geschmack sein, als andere Weine. Es wäre aber nicht Eigenart des deutschen und europäischen Weinrechts, wenn ein Kriterium eindeutig definiert wäre. Tatsächlich kann ein „brut“ von 0 bis zu 12 Gramm Dosage je Liter (Zucker- und Hefemischung) enthalten.

Sekt brut: der lange Weg von Francis Drake in die Jetztzeit

Im wesentlichen werden zwei „brut“-Grade unterschieden: „extra brut“ bei einem Süßegehalt von 0 bis 6 Gramm, und „brut“ bei bis zu 12 Gramm Süße pro Liter (lt. EG-Verordnung Nr. 607/2009). Um auf die Besonderheit und Exklusivität ihre Sekte aufmerksam zu machen, verwenden manche Winzer auch die Bezeichnung „zero brut“ (normalerweise 0, z. T. auch angegeben bis 3 Gramm Süße) oder „brut nature“; im Fall der rheinhessischen Sektmanufaktur Strauch sogar „zero brut nature“. In Frankreich ist auch die Bezeichnung „brut sauvage“, „ultra brut“ oder „sans sucre“ geläufig. Im Sinne unterlassener oder möglichst geringfügiger Eingriffe in die natürliche Weinbeschaffenheit, kann „brut“ dann auch etwas wie ein Qualitätskriterium bei Sekt sein.

Als „Sect“ bezeichnete man in früheren Zeiten spanische Weine aus eingeschrumpelten, „vertrockneten“ Trauben, also einen sehr süßen Südwein. Diesen Wein nannten die Engländer „sack“, abgeleitet vom spanischen „sakar“, was etwa „wegnehmen“ bedeutete und mit der spanischen Weinbeute von Francis Drake zu tun hatte.

Den Begriff „Sack“ gebrauchte auch bald Shakespeare in seinem Drama Fallstaff. Als ein Berliner Schauspieler zur Weinbestellung diesen Fallstaff zitierte: „Bring mir einen Becher Sack“, soll der Kellner, weil er nicht wusste was das englische „sack“ bedeutete, einen Schaumwein serviert haben. Die Sache habe dann in Berlin die Runde gemacht und sei geläufig geworden. Andere Quellen schreiben es dem Übersetzer August Wilhelm Schlegel direkt zu, der bei Shakespeares „sack“, gemeint als spanischer Süßwein, mit „Sekt“ fehlerhaft übersetzt bzw. eingedeutscht habe. Wenn Gelehrte irren, dann irren sie gewaltig: So verstieg sich ein (weiterer) Sekt-Deuter dazu, etwa zu erklären, dass der „Secq geheissen, weilen man selbigen in ledernen Säcken“ aufbewahrt habe.

Wilhelm Hamm: Hugo schon im Jahre 1865

Weil die in Deutschland schon damals beliebten Weine der Champagne ab einem gewissen Zeitpunkt praktisch regelhaft als moussierende, d.h. schäumende, Weine ausgebaut wurden, und hohes Prestige genossen, geriet auf die Etiketten mancher deutscher Schaumweine auch der Name „Champagner“. „Sekt“-Etiketten finden sich erst seit den 1850er Jahren. Das „Weinbuch“ von Wilhelm Hamm, herausgegeben 1865, kennt den Begriff noch nicht, weiß aber von durch Holunderblüten aromatisiertem „Schaumwein“.

Zwar hatte sich die Champagne wegen „Etikettenschwindels“ bereits beschwert, aber, weil Deutschland den Krieg 1870/71 gewonnen hatte, gab es für die Franzosen bis 1918 kaum die Möglichkeit zur Durchsetzung ihrer Forderungen. Doch nicht nur der Name war für die deutschen Schaumweinhersteller interessant. Viel bedeutender war die Produktionsmethode beim Champagner, die den Zuckerzusatz mittels „Dosage“ ermöglichte. Das von dem französischen Chemiker Jean Antoine Chaptal (1756-1832) entwickelte Verfahren der Trockenzuckerung und das von Ludwig Gall (1791-1863) favorisierte Zusetzen von Flüssigzucker ermöglichte bis dahin ungeahnte Möglichkeiten der Weinverbesserung, die bei Naturweinen verboten waren. Schon gemäß Reichsgesetz von 1497 hatte das künstliche Nachsüßen durch „Zucker oder Rosinen“ unter Strafe gestanden. Der Zusatz aber von Dosage war – nach seiner technischen Machbarkeit – erlaubt, zumal es sich bei den Schaumweinen auch nicht mehr um Wein handelte, sondern um „Sekt“, der in der Fabrik statt im Winzerbetrieb entstand.

Ein Zeitgenosse aus dem Jahr 1807 – Johann Friedrich Rieb – brachte es auf den Punkt: „Die Erfahrung lehrt nämlich, dass wir durch den gehörigen Zusatz (des Zuckers) aus jedem Traubensafte einen so vortrefflichen Wein erhalten können …)“. Entsprechend dem Zeitgeschmack wurden denn auch die deutschen Sekte „früherer Jahre viel stärker dosiert, sie waren teilweise so zuckerig, dass den russischen Großfürsten nachgesagt wurde, ihr Sekt sei mit gelben Chartreuse-Likör gesüßt“, wie Helmut Arntz in „Das Buch vom Deutschen Sekt“ schreibt.

Die Angaben von Arntz korrespondieren mit Hamms „Weinbuch“: „In Deutschland werden dem Champagner zugesetzt 16 bis 18 Grad; für den Verbrauch in Frankreichselbst 14 bis 15; nach Belgien ebensoviel, aber mit mehr Cognac; nach England 12 bis 13; nach Rußland 20 bis 22; Schweden und Norwegen 24 bis 28; …“) Warum sollten in jener Zeit derartige Grenzen nicht für Schaumwein oder Sekt gelten?

Sekt brut: ein Kind des modernen Zeitgeistes

Freilich war der Wein- und Sektgeschmack auch dem Wandel der Zeit unterlegen, so dass tendenziell ein Zug zu „trockenen“ Getränken zu beobachten war. Ein Bericht der WELT weiß, dass sich die Vorliebe der Deutschen zu trockenen Weinen in den vergangenen 12 Jahren von 34 auf 41 % gesteigert hat.
Die Erfolgsgeschichte des Sekts war also über den Umweg der „Dosage“ möglich geworden. Durch sie konnte nicht nur dem Alkoholgehalt schwächlicher Weine aufgeholfen, sondern in aller Regel auch eine Geschmacksverbesserung beim Wein erreicht werden (würde man es sonst tun?) – und schließlich erhielt man ein angenehm perlendes Getränk, das für festliche Anlässe geradezu wie geschaffen erschien. Tatsächlich hat der deutsche Schaumwein (Sekt) in seinen Produktionsziffern (ca. 3,1 Mio. hl) den französischen Champagner (ca. 2,7 Mio. hl) überholt. Diese Gegebenheit ist freilich weniger Qualitäts- oder Geschmackskriterien geschuldet, sondern einfach eine Frage des Preises, wiewohl in Deutschland Sekte hergestellt werden, die sich mit einem Champagner allemal messen können.


Bildnachweis: © Fotolia – donfiore

Über den Autor

Hans-Jürgen Schwarzer leitet die Online-Agentur schwarzer.de software + internet gmbh. Als Unternehmer und Verleger in Personalunion wie auch als leidenschaftlicher Blogger gehört er zu den Hauptautoren von startup-report.de. Innerhalb seiner breiten Palette an Themen liegen dem Mainzer Lokalpatriot dabei vermeintlich „schräge“ Ideen oder technische Novitäten besonders am Herzen.

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