Dirk Würtz + Balthasar Ress: „Schnick – Schnack – Schnuck“

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Das Werk des Dirk Würtz: fein, sehr fein, meisterlich. So präsentieren sich die im Charakter sehr unterschiedlichen Weine – der Spätburgunder in Assmannshausen und der Riesling in Hattenheim – vom Weingut Balthasar Ress. Mit einer Weinbautradition die bereits das zweite Jahrhundert erreicht, mit sorgfältiger Arbeit im Feld und Keller, mit gründlicher Information, ausgefuchstem Marketing, vielen Extras zum Komfort der Weinkonsumenten und mit Dirk Würtz (auch bekannt durch sein Blog wuertz-wein.de) auch einem umtriebigen Betriebsleiter, hat es Christian Ress geschafft, sich und sein Unternehmen in die Liste der 900 Spitzenbetriebe in Deutschland aufzuschwingen. Natürlich ist die Zahl der besonders ausgezeichneten 70 Rheingauer Winzer beachtlich, sie wird aber relativiert von dem Datum, dass im Rheingau gerade einmal 2 % der gesamten Weinmosternte erzeugt werden.

Derzeit kein guter Stern am Rheingau-Himmel

Da muss es den Giganten Ress – mit rund 250.000 Flaschen jährlich auch quantitativ – ordentlich kratzen, dass das grüne F – für „Feinschmecker“ – trotz elitärer Gemeinschaft im VDP sich so rar macht. Besonders ärgerlich, dass der überaus prestigeträchtige Hattenheimer Nussbrunnen im Gault Millau noch ein Pünktchen besser bewertet wird als vergleichsweise bei Langwerth von Simmern, der vom Feinschmecker gleich mit drei Punkten verwöhnt wird.

Oder die Causa Künstler, die der Gault Millau mit Blick auf den Rüdesheimer Berg Rottland mit exakt der gleichen Punktzahl bewertet wie die Ress-Weine des gleichen Jahrgangs. Das sind Details, wo man mit Recht sagt: „Da staunt der Fachmann, der Laie wundert sich.

Weingut Balthasar Ress: ‚2014 nur von solider Güte‘

Auch 2014 wollten die Feinschmecker-Redakteure die fetten grünen Effs nicht drucken, nur eine anerkennende Anmerkung kam ins Blatt. Dass dem Weingut Balthasar Ress in Hattenheim ausgesprochene Lob wirkt eher wie eine beißende Kritik: „Aufgrund seiner guten Lagen müßte das Weingut eigentlich mit an der Spitze der Region stehen. Doch sind die Rieslinge und Spätburgunder auch in diesem Jahr nur von solider Güte.

Macht Ress bei den Feinschmecker-Leuten etwa Fehler bei der Präsentation. Aus der Pflegeversicherung ist bekannt, dass Patienten vorbereitet werden, damit ihnen die Essentials, auf die es für den Medizinischen Dienst besonders ankommt, in richtiger Weise präsentiert werden. Das kann man sich bei Christian Ress oder Dirk Würtz nicht eigentlich vorstellen. Dass vielleicht nur zwei oder drei der grünen Punkte vergeben würden, das würde allenfalls noch verzeihlich wirken, aber gar keine Punkte? das kann nicht angehen, das sollten Christian Ress und Dirk Würtz untersuchen.

In der Tat müssen die beiden Akteure, Christian Ress und Dirk Würtz, das Problem alleine lösen, denn wir bekennen unsere Ratlosigkeit angesichts der Tatsache, dass hier ein Weingut im Rheingau mit hervorragendem Weinbergsbesitz und Kenntnis aller Voraussetzungen für vorzügliche Weinbereitung nicht in der Liste der absoluten Spitzengruppe geführt wird. Diese Ratlosigkeit mag man uns zugute halten, wenn wir – auch vielleicht auf ungeeignetem Weg – trotzdem nach Kritik Ausschau halten. Einen Aspekt der kritischen Nachfrage möchten wir mit „mehr Konzentration auf das Wesentliche“ überschreiben, denn an der Güte der Ress’schen Spitzenweine möchten wir nicht den geringsten Zweifel aufkommen lassen.

Von der Rebstockpacht und Sylt-Weinen

Zum Thema: Das Weingut Balthasar Ress in Hattenheim im Rheingau gehört zu den – es sei der Ausdruck erlaubt – absoluten Überfliegern im Deutschen Weinmarketing und der Webgestaltung – ein gutes Blog fehlt noch, da könnte Dirk Würtz Kommentar und Tipps geben. Rebstockpacht, Von unserm, Sylt-Weine, sinnliche Lagerung in der Weinbar, Künstleretiketten etc. unterstreichen das. Was fehlt, sind die Weinpreise, die nur auf Anforderung versandt werden. Nicht sogleich auffindbar sind auch die Weine, bei denen man unter Portfolio nachschlagen muss. Ein Rotweinfleck auf weissem Hemd findet sich da tatsächlich schneller.

Auch die Begrifflichkeit „Portfolio“ macht Probleme: sie ist zwar erlaubt, und im übertragenen Sinn auch verständlich, aber sie ist auch missverständlich. Kann man Aktien oder Geldpapiere bei Ress in Hattenheim erwerben? Geht es im engeren Sinn um Geschäfte? Wird etwa um Mitbesitz des Weingutes geworben? Die Formulierung mag im Sinne des ökonomischen Mainstreams modern sein, mit Blick auf den Weinkunden ist sie aber eher kontraproduktiv.

Auch eine Reihe von Service-Angeboten ist eher problematisch: ohne Anspruch auf Vollständigkeit: Rebstockpacht, Sylt-Weine, sinnliche Lagerung in der Weinbar, Künstleretiketten. Bei allem Klimawandel, die Sturmaktivitäten an der Nordseeküste nehmen eher zu als ab, und wer – man braucht nicht von Rheinhessen oder Wiesbaden bis zur Nordsee zu reisen – einmal einen vom Mistral (Südfrankreich) zerfetzten Weinstock gesehen hat, mag sich eine Weinrebe auf Keitum gar nicht vorstellen. Dass die Ress-Weine im Restaurant von Jörg Müller und anderen Spitzenköchen zu finden sind? Das sollten sie auch, aber ein Keitumer Weinstock wirkt irgendwie deplaziert wie ein Stern neben der Sonne.

Vielleicht wäre eine Lösung, auf die eine oder andere Marketing-Idee zu verzichten, und statt so manchem „Schnick, Schnack, Schnuck“ in schöner Lage in Wiesbaden, Eltville oder Assmannshausen ein kleines aber feines Weinrestaurant einzurichten. In Beaumes de Venise (nahe Orange) steht ein solches Restaurant – „Dolium“, nach den antiken Weinamphoren genannt – das an jedem Öffnungstag voll besetzt ist, und in dem eine auf die Weinspezialitäten der Region abgestimmte Menufolge geboten wird. Mit dem Angebot von Riesling und Spätburgunder verfügte ein solches Restaurant über ein schier endloses Repertoire an einsetzbaren deutschen Weinen.

Natürlich ist die Rede von einem Luxusproblem, denn Balthasar Ress muss sich keine Sorgen machen seine Weine zu verkaufen, noch immer hält die Nachfrage nach den Klassikern der Weinbautradition im Rheingau an. Wie bei den meisten Rheingauer Winzern ist ein wesentliche Stütze des Weinabsatzes der Export, dem wahrscheinlich auch die Überbetonung der Marketing-Linie geschuldet ist.

Allerdings – Tradition ist mehr als die Technik der Weinbereitung, wie sie Balthasar Ress in der Kombination von Modernität und Tradition mit der „Spontangärung“ praktiziert. Der Weinkunde sucht eine vertraute Weinansprache wie man sie zum Beispiel in Rheinhessen findet, und er möchte nicht a priori auf seine Defizite verwiesen werden, in dem es sich bei Weingesprächen nur noch um Grand Crus und die höchsten Qualitätsstufen dreht.

Im Mittelpunkt sollte die Freude am Wein und seinem Genuss stehen, und zwar unverfälscht und ohne dass Lebensart, Lebensgefühl oder Sexappeal beworben werden müssen – oder am Ende noch in einer Cost-Benefit-Analysis oder Rentabilitätsberechnung.

Zur Tradition des Weingut Balthasar Ress im Rheingau – auch ohne dass da Männer mit braunen Lederschürzen herumgehen – würde meines Erachtens auch gehören, die Rolle des Kellermeisters stärker zu betonen, die – jedenfalls im Ress’schen Internetauftritt etwas unterbelichtet scheint. Vielleicht kann der Betriebsleiter auch auf alle wesentlichen Fragen zur Weintechnik Auskunft geben, aber auf einen Kellermeister zum Anfassen würde ich nicht ohne weiteres verzichten wollen.


Bildnachweis: ©Shutterstock – Titelbild: travelpeter

Über den Autor

Hans-Jürgen Schwarzer leitet die Online-Agentur schwarzer.de software + internet gmbh. Als Unternehmer und Verleger in Personalunion wie auch als leidenschaftlicher Blogger gehört er zu den Hauptautoren von startup-report.de. Innerhalb seiner breiten Palette an Themen liegen dem Mainzer Lokalpatriot dabei vermeintlich „schräge“ Ideen oder technische Novitäten besonders am Herzen.

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